Anmerkungen zu Fotometamorphosen

Der schöne Schein, das heißt, der Anschein der Dinge, ob er nun schön ist oder nicht, ist unser optischer Zugang zur Welt. Die Oberfläche der Dinge nehmen wir, zunächst moralisch neutral, optisch wahr, unabhängig davon, ob sich hinter dem Schein ein grandioser oder miserabler Kern verbirgt. Form und Farbe von Dingen können uns abstoßen oder begeistern, bis hin zur Ausschaltung unseres Verstandes.

Die Oberfläche, d. h. die Form und die Farbe der uns umgebenden Dinge, ist uns vertraut im Kontext ihrer alltäglichen Zweckdienlichkeit, Funktionalität. Deswegen nehmen wir sie im Laufe der Zeit immer weniger bewusst wahr, solange sie „funktionieren“, in gewohnter Weise verfügbar sind.

Betrachte ich die Oberfläche, oder ein Detail der Oberfläche eines solchen nützlichen Objektes, sei es von der Natur, sei es von Menschenhand gemacht, losgelöst von dessen zweckgebundener Existenz und seiner gewohnten Umgebung, rein in seiner Form und Farbe, befreie ich es aus den Fesseln der Pragmatik, so kann es eine neue, überraschende, ja begeisternde Schönheit gewinnen, die mich völlig in ihren Bann zieht, die meine Umwelt ästhetisch und emotional bereichert, unabhängig vom bezifferbaren Wert des Objektes.

Dieser Effekt kann krass umgekehrt proportional zum materiellen Wert des Objektes eintreten, wenn ich die Oberfläche von Dingen betrachte, die ihres ursprünglichen Zweckes beraubt sind, die ausrangiert, ausgemustert, weggeworfen sind, funktionslos, nutzlos, wertlos, deren Oberfläche verbraucht, verwittert, verrottet und verrostet, dem Verfall preisgegeben ist. Ihre Nutz- und Wertlosigkeit verschafft ihnen eine neue Daseinsstufe: sie sind zwecklos, zweckfrei, also spielerisch und letztendlich frei. Und damit werden sie einer völlig neuen wertfreien Betrachtungsweise zugänglich, wir können an ihnen neue, überraschende, faszinierende Schönheiten entdecken, die sich in zunehmend abstrakten Strukturen dokumentieren, von amorph bis kristallin mit Assoziationen ins Makro- und Mikrokosmische.

Das sind also im Grundsatz die zwei Wege, auf denen ich mich der "objektiven" Welt mit meiner Kamera nähere und Zustände festhalte, die oft nur für kurze Zeit existieren:

  1. Ich suche nach den ästhetischen Reizen der Dinge, deren Existenz von Natur oder Funktion bestimmt ist
  2. Ich suche nach den ästhetischen Reizen der dem Verfall preisgegebenen Dinge, deren Existenz von ihrer Funktion befreit ist

So versuche ich also, der Würde und Monumentalität von Dingen ein Denkmal zu setzen, die nur allzu leicht übersehen werden, weil ihre Schönheit verdeckt ist, wie gesagt, erstens vom Zweck ihrer Existenz, zweitens von deren Zwecklosigkeit.